Weiterleben ohne Lars – Teil 4

Schon seit Wochen war schönstes, heißestes Sommerwetter gewesen, doch am Tag der Abschiedsfeier, es war ein Mittwoch, hatte es nachts und am Morgen leicht geregnet. Und es war ein bisschen kühler geworden. Wir versammelten uns vor der Kapelle und obwohl ich mit meinen nächsten Menschen extra ein wenig früher dort angekommen war, standen bereits einige Freundinnen und Freunde da und erwarteten uns. Ich wurde von Arm zu Arm weitergereicht. Umarmung folgte auf Umarmung. So viel Trost, so viele Tränen. Wenig Worte, viel Gehaltensein.

Gemeinsam gingen wir ans Grab. Freund M. und mein Bruder P. trugen den Sarg die Treppe hinauf und legten ihn sorgfältig ins dunkle Loch. Hier wäre ich beinahe das erste Mal zusammengebrochen. Mir war schwindlig, schwarz vor den Augen. Die Endgültigkeit dieses Aktes raubte mir den Atem. Meine Freundinnen L. und C. hielten mich fest. Mit ihnen beiden an meiner Seite ging es.

Manche legten Blumen, manche Tannenzapfen auf den Sarg, manche standen einfach da und waren bewegt. Eine Freundin ließ Seifenblasen ins Grab hinab schweben. Was für eine herrliche Idee! Wunderbar schillernd tanzten die Blasen, bevor sie zerplatzten. Ich stellte mir vor, wie Lars kicherte.

In der Kapelle begrüßte B., meine Hebamme, die zahlreich erschienenen Freundinnen, Freunde und Verwandten. Eine Bekannte meiner Verwandten begleitete die Feier auf der Violine. Immer wieder setzte sie Punkte und Doppelpunkte, schloss ab, öffnete neue Türen.

Dazwischen betraten meine Gäste die Kanzel und erzählten von Erlebnissen mit Lars oder lasen Texte vor, die sie als Trost für mich und uns alle ausgewählt hatten. Ich erinnere mich an Texte von Gibran, Saint-Exupéry, Domin und anderen.

Das alles waren wunderbare, liebevolle Geschenke, die sich in meinem Herz wie Samen einnisteten. Das Gegenteil all dessen, was ich in den letzten Jahren an Ablehnung und Kritik erlebt hatte. Und obwohl es hier unpassend klingen muss, wurde mir leicht ums Herz.

Meine Freundin B. und mein Bruder P. haben diese Feier zu einem unglaublich feinen Gespinst aus Liebe und Geborgenheit gemacht – zusammen mit all denen, die dabei waren. Verrückt, wer alles gekommen war: Da waren Freundinnen aus meinem christlichen Leben von weither angereist, Freunde und Freundinnen aus meinen Zeiten in Frankreich und Zürich, daneben meinen eher bürgerlichen Verwandten. Und doch passte alles. Alles eins. Eins in der gemeinsamen Trauer. Eins aber auch in der Liebe zum Leben.

Nach dem letzten Musikstück wanderten wir nochmals gemeinsam zum Grab. Es war nun mit Erde gedeckt und wir schmückten es gemeinsam. Zum Glück war Lars’ Grab das erste eines neuen Grabfeldes, so konnten wir alle in mehreren Kreisen ums Grab stehen. Wer etwas beitragen wollte, trat zum Grab und legte es hin. Ein spontanes Abschiedsritual.

Auf einmal riss der wolkige Himmel auf. Ein Sonnenstrahl durchdrang die Wolkenwand. Viele Köpfe drehten sich gemeinsam zum Himmel und Freund H. sagte: Seht, ein Sonnenbrunnen!

Ja, Lars’ Sonnenbrunnen hatte uns gefunden.

Eine Freundin stimmte das Lied The river is flowing an und alle, die es kannten, sangen mit. Ich hatte mich längst hinknien müssen, denn mein Kreislauf war im Keller. Immer mehr Leute hatten sich inzwischen ebenfalls hingekniet.

Zum Abschluss spielte die Violinistin erneut Dona nobis pacem, wie schon vorher in der Kapelle sowie ganz am Anfang am offenen Grab. Wer oder was immer es ist, der, die oder das Frieden geben kann, in diesem Moment wurde er uns gegeben, dieser Frieden.

(Fortsetzung folgt)

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Quelle: »Weiterleben | Biografische Essays«, Jana. D., noch unveröffentlicht.

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