Frannys Weg – Wenn die Erde ein Kind verliert, gewinnt der Himmel einen Engel
(Buchtitel des hier gekürzt vorliegenden Beitrages)
Willkommen im Himmel – »Sterben heißt doch nicht gleich tot-gehen!«
Ich bin angekommen. Ich heiße Franny, und auf der Erde war ich genau fünfzehn Jahre und zwei Monate. Jetzt bin ich im Himmel gelandet. Genau genommen dahinter – in dem unendlich weiten Himmelszelt. Ich nenne es die „Wohnung vom lieben Gott“ – und natürlich all der Seelen, die auch ihr Zuhause hier haben. Es ist sicherlich die größte Wohnung der Welt, mit dem größten Fenster überhaupt – aus dem man die ganze Erde auf einmal erblicken kann.Für euch klingt das bestimmt weit weg, dabei bin ich nur einen einzigen Gedanken von euch entfernt! Gedanken ziehen einander an. Nur wer vergisst, wird sich entfernen. Es ist schön für jeden, wenn man nicht aufhört mit dem Denken-an. Daher kommt sicher der Begriff An-denken.Ihr da unten spaziert täglich unter einem Himmel voller Seelen. Eine von ihnen gehört mir. Wie schön es ist, plötzlich nach unten zu schauen. Ich brauche mir den Hals nicht mehr zu verrenken und kann auch viel mehr sehen. Spannender und bunter ist es auch. Die Frage, wie es wohl hinter dem Himmel aussieht, brauche ich nicht mehr zu stellen.Ich habe Angst gehabt. Anfangs. Ich wusste ja, dass da kein Prinz kommen und mich wach küssen würde; ich bin ja nicht Schneewittchen. Mein Leben war kein Märchen mit Happyend. Aber es war happy – bis ich über das Ende nachdenken musste.Stattdessen bin ich jetzt hier oben, und der liebe Gott und seine Engel haben mich wach geküsst. Ich bin von so vielen schönen Dingen umgeben: dem Himmel, den Sternen, dem Regenbogen, den Wolken. Von der Erde aus nimmt man das alles ganz anders wahr, als wenn man wie ich von ganz oben alles betrachten kann.Seit fünf Monaten bin ich hier, und auf meiner Reise in den Himmel musste ich durch dieses Dazwischen, das für jeden Menschen ein Geheimnis bleibt, solange seine Füße die Erde ablaufen.Ich habe endlich das, was ich so lange, genau wie viele andere, als wahres Geheimnis empfand, als so ein „komisches, ungewisses Etwas“ bezeichnen, gelüftet.
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Als ich acht Jahre alt war, saßen Mama und Papa eines Abends an meinem Bett. Ich hatte den ganzen Tag über Bauchschmerzen gehabt und Mama füllte meine Herzwärmflasche schon zum zigsten Mal mit warmem Wasser. Das fühlte sich so gut an. „Franny, du hast uns gefragt, warum es dir manchmal so schlecht geht, und warum du so oft zum Arzt musst. Also –“. Mama verstummte. Nach einem Moment sprach Papa dann weiter. „Also, Franny, das kommt daher…“ Ich merkte, wie Papa tief schlucken musste. „Weißt du, jeder Mensch hat einen Stoffwechsel. Der Stoffwechsel steht für die Aufnahme, den Transport und die Umwandlung von Stoffen in deinem Körper, und er sorgt für die Abgabe von Stoffwechsel-Endprodukten. Das alles ist sehr wichtig, nämlich für den Aufbau und die Erhaltung der Körpersubstanz und –„ Papa blickte zurück zu Mama. „Und der richtigen Körperfunktionen.“ Ich schloss meine Augen und dachte laut nach. „Und bei mir funktioniert der Stoffwechsel eben ein bisschen anders?“An dem Abend holten mich Mama und Papa in ihr Bett und ich durfte die ganze Nacht zwischen ihnen liegen. Genauso wie zu Zeiten, als ich klein und richtig krank war, also Masern oder Grippe oder so hatte. Ich wusste nicht, dass ich jemals viel schlimmer krank sein könnte. – Auch meine Schwester Jessi liebt es, krank zu sein. Krank zu sein heißt nämlich, in Mamas und Papas Bett schlafen zu dürfen.Mama und Papa haben mir das mit dem Stoffwechsel noch unzählige Male erzählen müssen, bis ich es irgendwie verstand. Aber komisch war es trotzdem. Ich hatte zwar endlich eine Erklärung bekommen für meine Übelkeit und meine Schmerzen, die ich immer öfter hatte, aber ich hatte nun auch noch Angst dazu bekommen. Plötzlich war einfach jemand anders der Chef über meinen Körper. Ein ganz mieser Chef. Und sein Name klingt auch so blöd: Herr oder Frau Mukoviszidose. Ich habe mir meinen Körper von innen vorgestellt und musste weinen.
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„Kann ich daran sterben? Ist das ansteckend, was ich habe?“ Gleich am nächsten Morgen hatte ich Mama und Papa mit der Frage geweckt. Ich wollte sie schon viel früher fragen, aber ich wollte sie auf keinen Fall wecken. Ich blieb lange wach und hatte sie gern beobachtet, während sie tief schliefen. Ob sie viel von meiner Schwester und mir träumten?„Ach, Liebling, man stirbt nicht immer gleich an jeder Krankheit! Und ansteckend bist du überhaupt nicht!“ Damit war das Thema vorerst für mich gestorben. Gestorben? Ich muss da jetzt ein bisschen drüber schmunzeln, wie ich das Wort benutzt hatte.Für Mama war das Thema also erst einmal vom Tisch. Aber für mich nie mehr. Nicht, so lange ich lebte. Und das wollte ich!Ich hatte natürlich schon Angst, dass die Krankheit vielleicht doch so gemein zu mir sein könnte und ich würde wegen ihr sterben und nicht alt werden. Immer mehr Fragen tauchten in meinem Kopf auf. Aber ich merkte, wie mir Mama und Papa nicht mehr auf alles eine Antwort geben konnten. Sie konnten auch nicht mehr in einem ihrer schlauen Bücher nachschlagen, wie sie es sonst immer taten. Ich hatte einfach zu viele Fragen, und sie einfach zu wenige Antworten. „Liebling, wir wissen noch nicht sehr viel über diese Krankheit.“
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Es war mein Kinderarzt, Dr. Brenz, der mir zum ersten Mal ganz genau erklärte, was da eigentlich mit meinem Stoffwechsel los war. Er gab mir aber dabei das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein; wohl, um mich auf seine Art zu trösten. Anfangs dachte ich wirklich, ich sei die Einzige auf der Welt, die so einen kranken Stoffwechsel hätte. Dann habe ich gehört, dass in Deutschland 5.000 Menschen auch so etwas haben, und man tatsächlich daran sterben kann. MUKOVISZIDOSE hieß also meine Krankheit. Ich nannte den kleinen Teufel in mir fortan MUKKI. Man wird mit Mukki schon geboren. Ob der sich in mich eingenistet hatte, als ich noch in Mamas Fruchtblase schwamm? Wenn ich vorher gewarnt worden wäre, wäre ich dann freiwillig auf die Welt gekommen? Ich glaube heute, JA! MUKKI hat mich ja nicht daran hindern können, viel zu sehen, zu erleben und zu fühlen. Er hat mich ja auch fast mein halbes Leben lang in Ruhe gelassen!
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Ich habe mir immer wieder vorgestellt, wie es sein würde, tatsächlich nicht mehr da zu sein; nie mehr beide Füße auf die Erde setzen zu können, um die Welt abzulaufen. Irgendwann die Welt nur noch von oben zu betrachten – eine komische Vorstellung und ein noch komischeres Gefühl. Und eigentlich auch überhaupt nicht vorstellbar. Also, man kann sich ja eigentlich fast alles vorstellen, aber nicht mehr zu leben, das war einfach unmöglich. Ich habe es nie geschafft, mir vorzustellen, ich wäre nicht. Manchmal spielte ich, ich sei jemand anderes und betrachtete mich als eine Freundin von außen. Und diese Freundin müsste nun sterben. Dann hätte ich Mitleid und war traurig, aber ihr Sterben konnte ich nicht fühlen. – Oh, das Spiel war schwer. Und eigentlich war es auch total unsinnig! Aber was tut man nicht alles, um seine Angst ein bisschen kleiner zu machen. So, dass man sie nicht mehr fühlt.Und dabei wird sich diese Welt trotzdem immer weiter drehen. Die Welt hat einfach den längsten Atem. Und sie bleibt auch nicht kurz stehen, nur weil da plötzlich einer fehlt. Sie dürfte sich dann gar nicht mehr drehen, denn in jeder Sekunde verlässt irgendwo ein Mensch die Erde.Warum hat eigentlich nie jemand den Tod überlebt oder überlistet, oder ist zurückgekommen? Und ich bin sicher, dass es in all den Millionen von Jahren immer wieder mal jemand versucht hat. Und gewollt haben es sicher fast alle. Da sind Technik und Wissenschaft so weit, da erfindet man die schlauesten Geräte, aber niemand erfindet Ersatzteile für einen kaputten Körper? Wieso gibt es keine Überlebensmaschine? Oder kein Lebens-Verlängerungsgerät? Warum kann niemand meinen Stoffwechsel einfach austauschen? Warum kann nicht jeder so lange leben, wie er will? – Aber es wäre wohl schrecklich langweilig, wenn es keinen Anfang und kein Ende gäbe. Und die Erde hat ja auch wirklich nicht genügend Platz. Papa sagt, die Erde wird immer kleiner. Wir machen die Natur kaputt, in der Mensch und Tier leben könnten.
„Nicht mehr da zu sein, wäre das wie vor meiner Geburt, vor meiner Zeugung? Ohne Bewusstsein?“, fragte ich Mama. Mit großen Augen hatte sie mich angesehen. „Weh tun wird es auf keinen Fall, mein Schatz!“, sagte sie schließlich und hatte Tränen in den Augen. Ich hatte Begriffe wie Tod und Sterben endgültig in unser Haus geholt. Traurigkeit stand nun immer zwischen uns.
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Manchmal muss ich an die denken, die zwar nicht krank geboren werden wie ich – die aber krank werden vom Kopf her. Mama sagt: „Wenn man im Kopf krank wird, wird auch der Körper bald krank.“ – Wie doof sind die Menschen, dass sie sich alles kaputt machen! Mama wollte immer, dass ich mit meinen Sorgen zu ihr komme. „Wenn dich was bedrückt, lass` es raus, damit du wieder Luft und Raum für Schönes im Kopf hast. Und Sorgen gehen auf dein Herz. Und ich will, dass deins noch lange schlägt! Ich will nicht, dass es kaputt geht von Sorgen, die man ent-sorgen kann! Kopf und Körper müssen sich vertragen und im Einklang miteinander leben!“ Mama hat sich da richtig reingesteigert. Sie hätte eben alles getan, um mir Kummer zu ersparen oder abzunehmen. Am allerliebsten hätte sie ihren Körper gegen meinen getauscht. „So einen großen Busen will ich aber nicht!“ Ich versuchte, sie zum Lachen zu bringen. „Bitte, Mama, sorge dich nicht so, das geht aufs Herz, und ich will, dass deins…“ Dann fiel sie mir ins Wort und nahm mich anschließend meistens in einen liebevollen Schwitzkasten.
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Menschen jeden Alters sterben, ob durch Krankheit, Unfall, oder weil ihr Motor einfach alt und morsch geworden ist. Ich wünsche mir, dass gesunde Menschen sehr alt werden können. Also, gesunde – auch vom Kopf her! Ich wünsche mir, dass junge und körperlich gesunde Menschen sich nicht einfach umbringen wollen. Und wenn ihre Seele ein bisschen kaputt ist, dass sie sich ganz schnell Hilfe holen bei den diesen „Seelenklempnern“, wie Mama das immer ausdrückt. – Umgekehrt ist es scheinbar anders: Meine Seele war ja heil, und nur mein Körper hat Stress gemacht. Das ist gemein. – Wo sitzt die Seele eigentlich? Wie kann man sie bloß finden, um sie dann zu reparieren? Es gibt doch so viele Menschen, die wieder gesund werden. Was ist an meinem Stoffwechsel so besonders schlecht? Und warum konnte ich mit so einem denn nicht so alt wie Oma werden? Wieso konnte ich mich bloß nicht wieder gesund denken?
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Also, hier oben sind die Seelen der Menschen, die freiwillig in den Tod gingen, nicht direkt zusammen mit denen, die Gott zu sich holte. Sie können sich noch nicht direkt miteinander austauschen. Ich weiß aber, dass die meisten Seelen es bereuen, dass sie sich gegen das Leben entschieden haben. Es geht ihnen gut hier oben, aber sie müssen etwas länger auf eine Schutzengel-Aufgabe warten – und das ist ja der Sinn, wenn man hier herkommt. Erst wenn man wieder lernt, Verantwortung zu tragen, bekommt man eine Aufgabe. Wer sich umgebracht hat, konnte ja nicht einmal für sich selbst Verantwortung übernehmen, als es darauf ankam. Wie dann also so schnell schon wieder für Andere oder Anderes? All das weiß ich von Archibald, dem Engelwächter.
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Einmal, als Mama und ich beim Zubettgehen kuschelten, stellte ich ihr eine Frage, die mich schon lange beschäftigt hatte: „Mami, ob es besser ist, zu wissen, dass man sterben muss, oder einfach vom Tod überrascht zu werden? Wie ist es für dich und Papa? Schwerer oder leichter?“ Mama schwieg lange. Hilflos schaute sie mich an, dann flüsterte sie: „Es ist egal, wann jemand geht. Es tut immer weh. Lass uns versuchen, deinen MUKKI einfach zu überlisten!“Im Stillen dachte ich, dass es gar nicht schlecht ist, wenn man weiß, dass man bald stirbt, weil man dann seine Zeit sicher viel besser genießen und „rest- leben“ kann.
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Klara war süß. Für sie gab es zwischen gestorben-sein und tot-sein einen himmelweiten Unterschied: wenn ich gestorben sein würde, wäre ich kein Stück tot für sie. Unter Sterben verstand sie „weggehen“, unter tot sein „ausgelöscht“. „Solange die Erde lebt, die Welt atmet, bleibst du ein Teil von ihr genau wie ich und jeder andere!“ Klara machte auch keinen großen Unterschied zwischen OBEN und UNTEN. Und wir sprachen nicht wirklich über den größten Unterschied, nämlich dass wir nur hier UNTEN gemeinsam Abenteuer erleben konnten.Klara sagte, wenn sie abends ihr Nachtgebet spreche, solle ich von oben lauschen – ich könne sie dann bestimmt hören, wie sie mich in ihre Gebete einschließen würde. Ein Engel bekommt doch schließlich alles mit! – Oh, wie ich Klara liebte! Ich würde sie so vermissen. Wir lasen oft zusammen „Der kleine Prinz“, wenn sie bei mir übernachtete. Sie war dann mein Prinz, und ich war ihre Rose. Und sie las mir alle meine Lieblingsstellen vor, immer und immer wieder. Keiner konnte so schön lesen wie meine beste Freundin Klara. „Was wichtig ist, sieht man nicht. Das ist wie mit der Blume. Wenn du eine Blume liebst, die auf einem Stern wohnt, so ist es süß, bei Nacht den Himmel zu betrachten. Alle Sterne sind voll von Blumen. Du wirst in der Nacht die Sterne ansehen.“ Oder: „Was bedeutet `Zähmen`? – Es bedeutet, sich `vertraut machen`. – Vertraut machen? – Gewiss, wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Ich werde für dich einzig sein in der Welt. – Ich verstehe. Es gibt eine Blume …“Ich glaube, Klara und ich haben uns auch für immer gezähmt.
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P.S.: Und noch eines – wenn du wiedergeboren wirst, komme doch bitte in meinen Körper. Dann sind wir endlich wieder beisammen!Ich hab` dich lieb, Franny, auf Ewigkeit. Und bis ich dir eines Tages folge, bleibe ich so-wie-so deine beste Freundin und du bleibst meine. Das werde ich immer allen erzählen! Komme da, was wolle! Kuss und 1000 Umarmungen. Klara.P.P.S: Du bist ja Gott jetzt näher als ich, weil du ja bei ihm wohnst; bis meine Gebete bei ihm ankommen, vergeht vielleicht ein bisschen Zeit, denke ich. Würdest du ihn fragen, ob kleine Menschen auch große Seelen haben können, und große Menschen kleine? Ich bin da nämlich unschlüssig. Ach, eigentlich ja auch egal. Da oben geht’s doch sicher allen gleich! – So, KussKuss.P.P.P.S: Ich habe ja gesagt, du sollst diese Kassette erst hören, wenn es dir ganz ganz schlecht geht. Nun habe ich Angst, dass du es vielleicht nicht mal mehr schaffst, den Startknopf zu drücken.“
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Ich habe mal gelesen, dass sich die Menschen den Anfang und das Ende ihres Lebens insgeheim aussuchen. Und dass sie vor diesem Leben schon ein anderes gehabt haben. Ich dachte mir, dass bei der Zeugung eben wirklich nur der Körper entsteht. Zelle für Zelle. Die Seele kann man nicht zeugen, sie springt einfach in den Körper. – Das passiert ganz sicher bei der Zeugung. Oder vielleicht schon davor? Ohne Seele könnte ein Körper sich gar nicht so entwickeln, sich gar nicht so zusammensetzen. Klara war da immer anderer Meinung gewesen: „Die Seele geht bestimmt erst bei der Geburt in den Körper, weil sie ja in eine ausgewachsene Hülle schlüpfen muss.“ – Finde ich nicht so gut. Wenn eine schwangere Frau mit ihrem Baby im Bauch spricht, es fühlt, dann spricht es doch nicht nur mit einem Körper!? Und was war mit der Arbeitskollegin von Papa? Der Körper wäre bestimmt nicht gestorben, sind ja nur Bausteine, und die können doch nicht denken. Also war da die Seele, die sich entschlossen hat, wieder zu gehen. – Als Mama mit Jessi schwanger war, hat Mama gesagt, dass sie spürt, wie Jessi auf bestimmte Musik besonders reagierte. Das macht doch nicht der Körper. Dem ist das doch sicherlich ganz wurscht.Aber wenn die Seele in den Körper geht – wo kommt sie dann her? Vom Himmel? Dann ist der Himmel also wirklich die Heimat der Seelen. Also geht meine Seele einfach nur wieder zurück nach Hause, von wo sie einst herbestellt wurde?
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Wenn Mama und Papa sagten, Gott sei der Vater von allem, dann fragte ich mich wieder – wieso eigentlich nicht die Mutter? Wer hat Gott denn `männlich` gemacht? – Was auch immer der Gott für ein Geschlecht hat, ich bin auch sein Kind, weil ihm ja die ganze Welt gehört. Ich habe also entweder zwei Mütter oder zwei Väter. Ich denke, Gott schafft die Seele, und die Eltern den Körper. – Und wenn Gott die Seele macht, dann kann er ja auch gar nichts für meinen kranken Körper. Wenn das also so ist, warum schimpfen alle immer so auf Gott und geben ihm die Schuld an allem Übel? Wenn man jemandem Schuld gibt, dann ist er doch stärker. – Ich tue das nicht. Ich hatte eine Verabredung mit dem Leben. Egal, ob kurz oder lang. Ich kann wütend werden, jede Sekunde – oder ich kann versuchen, Danke zu sagen, für jeden Augenblick, in dem meine Augen sehen, mein Herz empfinden, meine Ohren hören, mein Mund schmecken und meine Nase Neues riechen durfte. Danke zu sagen, wenn man eigentlich wütend und traurig ist, das kostet Kraft, aber es lohnt sich. Ich will schließlich nicht als miesepetriger Untermieter bei Gott einziehen.
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Ich vermisse nichts. Etwas zu vermissen, das kann ganz schön weh tun. Im Himmel gibt es so was nicht. Im Himmel ist es so, wie ich das Paradies aus der Bibel verstanden habe. Und ich kann den lieben Gott fühlen. Ja, ich kann ihn wirklich spüren. Ich habe am ersten Tag hundert Mal nach ihm gerufen, bis ich Mamas Worte erinnerte: Der liebe Gott gibt dir Zeichen – das ist seine Sprache. Er ist noch leiser als leise, weil er ja keine Stimme hat.Ich möchte ihm zurufen, dass ich bei ihm gelandet bin – natürlich albern, denn er weiß es ja längst. Er hat mich doch selbst zu sich in sein Reich holen lassen.
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Schön, dass ich viele Erinnerungen mitnehmen konnte. So erinnere ich mich auch an Papas Worte: Gott ist alles. Gott ist der Himmel und Gott ist die Erde. Und Gott ist das Licht. Gott ist der Mensch, das Tier, die Blume, jede Wolke, die Luft. Er ist die ganze Welt. Er ist allmächtig und der Große Vater von allem, was wir uns erklären und nicht erklären können, was wir betrachten können, und was für uns unsichtbar bleibt. Wie er selbst.Ich sehe alles und jeden auf der Erde, bin zum ersten Mal größer als ein Erwachsener! So muss der liebe Gott sich fühlen. Wie ein allwissender, allsehender, allmächtiger Riese. Voller Macht – und doch machtlos, wie viele behaupten. Irren sie? Wenn er allmächtig ist, könnte er die Erde doch als Mensch besuchen, oder? Viele Menschen schimpfen auf ihn. Andere glauben nicht an ihn, und einige glauben nicht mehr an ihn. Und trotzdem suchen sie zu gern nach einem Schuldigen. Sich selbst die Schuld zu geben ist anscheinend viel zu schwer. Aber – darf der Schöpfer wirklich niemals Fehler machen? Glaubt man nicht mehr an ihn, weil er ein Gebet vielleicht mal nicht erhört, oder er schlimme Sachen nicht verhindert hat, wo er doch allmächtige Macht besitzt? Oder nicht? Wer behauptet bloß immer, dass „allmächtig“ sein heißt, alle Macht der Welt zu haben? Gibt es tatsächlich keine Einschränkung? Ich werde es erfahren.
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Meine Krankheit liegt im Sarg mit meinem kranken Körper und meinem Lamm Bruno. Schade, dass ich nicht mal Bruno mitnehmen konnte, wo er doch all die Jahre mein zweites Kopfkissen war. Aber so bleibt er bei dem Körper, der ihm über zehn Jahre hinweg so vertraut war. Gemeinsam geht er mit der Hülle dann kaputt.Ich weiß, Papa würde der Erste sein, der bei der Trauerfeier den anderen vormachen wird, nach oben in den Himmel zu winken, nicht nach unten in den Sarg zu weinen. In Indien zum Beispiel feiert man den Abschied fröhlich. Wie grausam muss es auch sein, von unten nicht losgelassen zu werden, während von oben schon gezogen wird? Eine schöne Vorstellung, dass die Leute einen feierlich gehen lassen können, damit die Seele einen leichteren Abschied hat.Wenn mein kranker Körper in den Sarg gelegt wird, kommt bloß die kranke Hülle unter die Erde, die der Schutz um meine Seele war. Nie mehr schleppe ich meine morsche Hülle von sechsundzwanzig Kilo mit mir herum! Und zum ersten Mal bin ich frei – meine Seele ist nicht mehr eingesperrt, nicht mehr gefangen in einem Körper. Meine Seele ist endlich frei und fliegt in Windeseile hin, wo immer sie hin möchte. So kann ich die ganze Erde abfliegen. Und so billig reist doch kein Erdenbürger. Erdenbürger – ich bin jetzt ein Himmels-Bürger!
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Ich habe mit Papa einmal über verschiedene Arten von Beerdigung gesprochen. Das war schwer für ihn, aber ganz schön wichtig für mich. Einmal dachte ich nämlich über Verbrennung nach. Da gab es diesen Film im Fernsehen, und da feierten die Leute eine Feuerbestattung. Die Menschen in Indien werden verbrannt, damit die Seele sich von der sterblichen Hülle befreien kann und in einen Kreislauf der Wiedergeburten eintreten kann. Sie können dann einfach noch einmal woanders hinein geboren werden. Sicher hat Klara den Film auch gesehen, weil sie diese Idee hatte, ich solle doch in ihren Körper schlüpfen. – Nur, was passiert dann mit ihrer eigenen Seele? Ob es wohl Menschen mit mehr als nur einer Seele gibt? – Na, jedenfalls wurde im Film gezeigt, wie die Asche nach der Verbrennung in heilige Flüsse gestreut wurde. Das fand ich toll. Dann wäre mein Körper auch nicht so lange einsam im Grab, weil ihm die dazugehörige Seele fehlt. „Bei dem schlagen doch zwei Seelen in der Brust!“ – das hatte Klaras Mutter einmal wütend über einen Lehrer gesagt. Schade, dass wir nie nachgehakt haben, was sie damit meinte. Aber weil sie das wütend sagte, konnte es nichts Gutes sein.Nach dem Film hatte ich plötzlich Angst, dass meine Seele bei einer Erd-Beerdigung nicht so schnell aus dem Körper kann. Ich sprach mit Mama und Papa darüber und Papa sagte, dass die Menschen sich nur in den Religionen, im Glauben, unterscheiden. Aber Gott ziehe die letzten Fäden und übersehe keinen, egal ob Asche oder nicht. Und das Wichtigste: die Seele fliegt ganz sicher davon, kurz nachdem das Herz den letzten Paukenschlag tat. – Deshalb öffnen wohl auch alle Krankenschwestern das Fenster, wenn einer gestorben ist. Hat mir Klaras Tante mal erzählt, die Pflegerin in einem Altersheim ist. Sie hat auch gesagt, dass man dem Körper ansieht, wenn die Seele den Körper verlassen hat. Gestorbene haben ganz schnell eine andere Farbe. – Ich wünschte, ich würde nicht noch hässlicher aussehen, als ich mich ohnehin schon empfand.
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Zum Vergnügen habe ich in meiner neuen Heimat für alles Namen erfunden: diese Stadt im Himmel heißt Petrusstadt. Die dicke Wolke, auf der ich manchmal schwebe und mich ausruhe, heißt Astra. Sie muss schon ziemlich alt sein, denn sie schwebt nicht mehr so schnell wie andere. Mein wichtigster Gefährte hier oben ist Archibald. Er kontrolliert die Sterne und ist selbst eine Art Engel. Er muss mal ein ganz besonderer Mensch gewesen sein. Einer von euch. Er muss schon ziemlich lange hier oben sein. Er ist nicht ständig present, weil er einen Auftrag nach dem anderen bekommt.
EXITUS, ABFLIEGEN, ABLEBEN, VERFLÜCHTIGEN. – Viel mehr ist dabei nicht herausgekommen. EXITUS fand ich eigentlich am Schönsten. EXIT bedeutet doch im Englischen – Àusgang`; das heißt, dass die Seele (endlich) ihren Ausgang findet; das Lichtertor ist der Exit. Ich war anfangs sehr aufgeregt, vor der Klasse Fragen zu beantworten, aber als ich merkte, dass meine Mitschüler noch viel nervöser waren als ich, fühlte ich mich ziemlich cool und ziemlich überlegen. Die schönste Frage kam kurz vor Ende von Manuela: „Würdest du gern wiedergeboren werden, Franny? Und wenn ja, als was? Und denkst du, das fühlt sich dann so an wie bei deiner letzten Geburt? Diese Stunde sollte die vorletzte gewesen sein, an der ich noch teilnehmen konnte.
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Beim Abendbrot habe ich Mama und Papa gefragt, als was sie denn noch einmal auf die Welt kommen würden, wenn sie es sich aussuchen könnten. „Also, ich werde ein Chamäleon. Ich verändere je nach Bedarf meine Äußeres!“ sagte Papa. Und Mama wollte eine berühmte Sängerin und Autorin werden. „Also, ich möchte als Gott geboren werden. Und dann würde ich als erstes dafür sorgen, dass es keine Krankheiten mehr gibt!“ Über meine Idee musste selbst ich laut lachen.
Ich nahm mir vorm Schlafengehen immer ein Thema vor, von dem ich träumen wollte: von einem hübschen, großen, dunkelhaarigen Jungen, weiteren Reisen, einem Job als Lehrerin und vielem mehr. Ich hatte einfach die Situationen vorm Auge, bis ich mit den Bildern eingeschlafen bin. – Manchmal war ich selbst eine Mama und glücklich verheiratet. Wie Mama. Mama und Papa waren in meinen Bildern wunderbare Großeltern. Ich bin natürlich auch Auto gefahren, und auf dem Rücksitz schliefen meine Kinder. Oder ich tanzte wie wild mit Klara in einer Disko und wir forderten zum ersten Mal einen Jungen auf. – Ich habe Dinge und Stationen meines Lebens „geträumt“, die ich nicht mehr erleben würde. – Manchmal habe ich mir in weniger als einer Woche ein ganzes Leben erträumt. – Und das Schönste: ich konnte mir mein Leben aussuchen. – Ihr dagegen könnt euch nicht auf eure Träume verlassen, weil Ihr eure Träume gegen die Realität eintauschen müsst.
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Einmal hat Papa mich nachts aus dem Bett geholt und hinaus in den Garten getragen, weil er mir unbedingt den klaren Sternenhimmel zeigen wollte. „Weißt du, dass Sterne hundertfünfzig Mal die Masse unserer Sonne annehmen können?“ Wow, dachte ich. Dann hat Papa unser Fernrohr aufgestellt und mir die Sternenbilder gedeutet: „Franny, wenn du dort oben bist, wird ein Stern besonders hell scheinen. Du wirst zu einem Engel und wirst dann sicher deinen eigenen Stern haben, der dir leuchtet. Oder du selbst bist ein Stern. Es heißt ja, jeder Stern sei eine Seele. – Sterne sind Milliarden von sogenannten Lichtjahren entfernt, und auch wenn der Himmel voller Sterne hängt, so können wir doch nur einen Bruchteil von ihnen leuchten sehen – es gibt nämlich mehr Sterne in der Welt als Sandkörner auf der Erde!“ Ich war fassungslos. Millionen Sterne, Lichtjahre, Galaxien, Milchstraße – meine neue Heimat klang ja ziemlich spannend. Ob die Seele unendlich weit fliegen kann? Ich wollte doch endlich mal die „Unendlichkeit“ verstehen.Papa flüsterte: „Liebe kennt keine Entfernung, weil Liebe im Herzen wohnt und auch nicht durch Millionen von Kilometern Distanz kleiner werden kann.“ – Wie gern hätte ich in dem Augenblick eine Sternschnuppe gesehen!„Papa, wo genau beginnt der Himmel?“
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Papa hatte mir und Klara ja „der kleine Prinz“ geschenkt, und ich erinnerte mich immer wieder an die Stelle mit den Sternen. „Die Leute haben Sterne, aber es sind nicht die gleichen. Für die einen, die reisen, sind die Sterne Führer. Für andere sind sie nichts als kleine Lichter.“ Ich wünsche mir, jeder würde sich abends „seinen“ Stern suchen und ihm einen Namen geben. Man kann schon Sterne kaufen, aber davon will ich nichts wissen. Die Sterne dürfen doch keinem allein gehören. Sie schenken doch allen ihr Licht! – Wie kann man etwas kaufen, das einem niemals gehören kann? Und wer verkauft etwas, das ihm nicht gehört, und deshalb auch niemals einem anderen?Mama – sie hat mir gezeigt, dass nichts umsonst ist, und dass alles seinen Sinn hat. Dass Menschen sicher nur jung sterben, damit ihnen etwas Schlimmes erspart bleibt. Und weil sich die ganz kleine Seele vielleicht in der Zeit geirrt hat. – Ich war froh, mich nicht geirrt zu haben, auch wenn ich früher gehen musste. – Und weil große Menschen von Kleinen so Manches lernen können, müssen auch die Kleinen manchmal den Großen etwas vormachen. Ihnen zeigen, dass das, wovor selbst sie solche Angst haben, gar nicht so schlimm sein muss. Und so gehen eben auch schon mal Kinder voraus; auch wenn es überhaupt nichts Schlimmeres gibt, als wenn das eigene Kind schon vor einem in den Himmel kommt. Wenn man den ersten und den letzten Schritt des Kindes begleiten muss – das ist traurig. Aber es muss einen Sinn dafür geben, den man unten allerdings nicht begreifen wird.
Mama hatte bestimmt manchmal die Sorge, mein Schlaf würde mich ihr wegnehmen. Auch ich hatte ja diese Angst, mein Körper wolle morgens nicht noch einmal aufwachen und einen ganzen Tag über-leben. Andererseits dachte ich: Ob ich heute gehe oder morgen – traurig sind sie alle sowieso. Und dabei wünschte ich mir sehr, dass sie nicht still und heimlich weinen würden, sich vom Leid nicht auffressen lassen würden. So wie die Freundin von Mama damals. Wenn heimliche Tränen im Magen landen, muss das doch krank machen!Auf Erden Trauer, im Himmel Freude. – Wenn die Erde ein Kind verliert, gewinnt der Himmel einen Engel! Diesen Satz aus einem Gedicht von Mama mochte ich besonders. Es musste einfach stimmen, Mama behielt doch immer Recht!
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Ab und an legen noch immer ein paar Schulkameraden ein paar Blümchen vor unsere Haustür. Ich kann auch gemalte Bilder erkennen. Meine Mitschüler laufen danach immer ganz schnell weg, als ob sie etwas Böses getan haben und nicht erwischt werden wollen. – Die Eltern kommen nicht, sie haben sicher Angst, das Falsche zu sagen. Kann man das denn? Wenn man nicht die richtigen Worte findet, dann doch sicher auch nicht die falschen. Und darum geht es doch auch nicht! Die Augen sprechen doch genug, wenn man einem sagen will: Herzliches Beileid. – Ich mag das Wort übrigens genauso wenig wie TOD. Bei-Leid – heißt das, dass das LEID BEI denen ist, die trauern? Aber die müssen MICH doch „bei-leiden“. Ich bin doch weg. Sie dürfen schließlich noch bleiben. Ich finde das so richtig unlogisch. Aber so ging es mir schon immer mit komischen Ausdrucken.
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Bei uns zu Hause ging immer alles um Gefühle. Wir sollten immer alles leben. Ob Wut, Einsamkeit, Trauer, Eifersucht oder anderes. Gefühle sind innen. „Außen vergeht!“ sagte Oma immer. Und weil innen nicht vergeht, soll man das Innen pflegen. Vertrauen, Achtung, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Anstand – das waren für Mama und Papa die wichtigsten Tugenden. Wie oft habe ich gedacht, ich würde diesen Scheißkrieg in meinem Körper nicht mehr aushalten. Da bekämpfen sich Zellen untereinander – und ich kann nichts tun. Kopf gegen Körper. Und dabei hängen sie doch wie siamesische Zwillinge zusammen und bilden eine Einheit. Scheißkrieg! – Aber dann waren da alle um mich herum, voll mit schönen Tugenden. Durch ihre Geduld wuchs meine Geduld. – Durch ihre Stärke meine Stärke; und die brauchte ich ja für meinen langen Krankheitsweg. Und weil ich ja bis zum Schluss noch dachte, wenn ich innen heil bin, dann werde ich es außen auch wieder. Obwohl MUKKI ja innen ist, gehört er aber eher zum Außen. Ich dachte manchmal schon, ich denke vielleicht viel zu viel und zu kompliziert.Wenn ich kranke Kinder auf der Erde beobachte, werde ich manchmal sehr nachdenklich: „Archibald, warum gehen die Menschen weg von einem, wenn man außen nicht mehr so wie innen ist?“ Und weil Archibald ja immer auf alles eine Antwort hat, erklärte er: „Weil sie nicht mit dem Herzen sehen. Würden sie das tun, würden sie nur nach innen sehen. Denke an „Der kleine Prinz“, den du gelesen hast. Ich habe dich dabei beobachtet. Und auch, wie du mit Klara über den Fuchs, die Rose und das Zähmen gesprochen hast.“
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Ich werde also tatsächlich ein Schutzengel sein? Ob ich mir aussuchen kann, wen ich beschützen darf? Wenn ich „Schutzengel“ werde, werde ich also neu gemacht. Ein bisschen wie geboren-werden, nur viiiiiiel heiliger wahrscheinlich. Und die Verbindung zur Erde bricht auch nicht ab. Der Himmel braucht die Erde und die Erde braucht den Himmel.Am liebsten möchte ich rund um die Uhr für meine Familie und für Klara da sein. Besonders Jessi wird mich noch oft da unten brauchen. Ich werde sie nicht enttäuschen. Aber solange ich noch nicht alles gelernt habe, wird diese Aufgabe ein anderer für mich übernehmen.Das ist wirklich himmlisch – hier oben gibt es nichts, wodurch man sich unterscheiden muss, nichts von dem ist wichtig, worüber die Menschen auf der Erde sich streiten und bekriegen müssen. Ist es nicht eigentlich so, dass Menschen sich doch eigentlich nur durch Kleinigkeiten unterscheiden? Kleinigkeiten, im Vergleich zu dem Großen, dem sich niemand entziehen kann: dem Geschenk des Anfangs – der Geburt mit der gewissen Unruhe – und dem Geschenk des Endes, dem Tod und seiner gewissen himmlischen Ruhe. Beim ersten Schritt wird dir geholfen, beim letzten nicht. Jeder geht zweimal im Leben durch einen Tunnel. Die Geburt führt dich heraus und der Tod führt dich herein.
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Hier trage ich keine Kleidung, um die mich ein anderer beneidet. Ich fahre kein Fahrrad, das mir ein anderer stehlen kann. Und ich habe keinen Hunger, wie so viele auf der Erde. Hier oben sind eigentlich alle so gleich, wie Menschen auf der Erde niemals sein wollen. Wie sagt Archibald immer? „Oben herrschen oft andere Gesetze als Unten, auch wenn sich hier alle nach den Geboten richten. Nur wenige Erdenmenschen verstehen aber diese „hohen“ Gesetze. Sie sind Auserwählte. Sie bleiben auf der Erde so lange, bis ihre Aufgabe erfüllt ist. Man erkennt diese Menschen daran, dass sie nur für andere da sind, ohne sich selbst dabei all zu sehr zu vergessen. Sie teilen anderen ganz viele weise und kluge Dinge mit, um ihnen neue Gedanken zu geben. Wer so einem Menschen begegnet, der ist auf einen Engel in Menschengestalt getroffen. Wahrscheinlich war es einer von uns hier. – Gott kann eben alles möglich machen, weil er all-mächtig ist! Leider sind diese Begegnungen meist nur einmalig. Und manchmal auch nur so kurz wie ein einziger Augenblick. Und wer so eine ganz besondere Begegnung nicht wahrgenommen oder verstanden hat, der hat leider Pech gehabt. Zweimal so einem „Menschenengel“ zu begegnen, grenzt wieder an ein Wunder. Aber auch das machen wir natürlich manchmal möglich.“
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Vielleicht ist das so auch mit dem Leben: Man hat mit ihm tatsächlich nur eine Verabredung. Und jede Verabredung ist zeitlich begrenzt. Man sagt „guten Tag“ und dann „auf Wiedersehen“. Auf Wieder-Sehen im Himmel. Verabredet bin ich jetzt eben mit jemand anderem: mit dem Tod. Und mit Gott. Und mit seinen Engeln. Und mit mir selbst; mit einer, die ich niemals verlassen kann, weil ich ja noch Seele bin, die nicht kaputtgehen kann. Und zeitlich begrenzt bin ich auch nicht mehr.
Und glaubst du, dass Seelen nur im Himmel sind?“„Also, mein Schatz – es gibt nur einen Himmel, nur einen großen Raum für alle Seelen dieser Welt. Und ob Seelen auch woanders sein können als nur im Himmel, davon gehe ich aus. Aber irgendwo müssen sie sich ja alle sammeln können. Ich denke, der Himmel ist die Heimat.“„Glaubst du, mir wachsen Flügel?“„Ganz bestimmt, Liebling. Warum sieht man sonst auf Bildern immer Engel mit Flügeln?“„Können Engel auch kaputt gehen“? fragte ich abschließend.„Ja, wenn man aufhört, an sie zu glauben!“Wirkliche Flügel habe ich natürlich nicht, auch wenn ich zur Erde „fliegen“ kann. Natürlich ist es meine Seele, mein Geist, der dank Schwingungen quasi auf die Erde schwebt. Deshalb kann man uns ja auch nicht sehen, sondern nur spüren; und auch nur, wenn man sehr wachsam ist. Und deshalb werden Engel wohl immer mit Flügeln gezeichnet; sie sollen den Menschen zeigen, dass Engel eben immer und überall hinschweben können. Das gibt einem doch ein fast himmlisches Gefühl.
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Ich habe sehr viele Sterne umarmt, bin auf fast jede Wolke gesprungen, und habe in Petrusstadt mein neues Zuhause gefunden. Ich werde meine neue Heimat nie wieder verlassen; abgesehen von meinen Ausflügen als Schutzengel. Wenn Ihr Erdenkinder diese Zeilen lest, bereite ich vielleicht gerade meinen ersten Ausflug vor. Ich will kein Mitleid. Ich existiere ja noch. Ich kann euch sehen, auch wenn ich für euch nicht sichtbar bin. Sobald eure kleine Seele ihre himmlische Reise zu uns ankündigt, werde ich sie empfangen. Habt keine Angst, ich werde da sein. Und Jeder wird eines Tages hierher kommen. Und jeder Einzelne ist zu jeder Zeit immer herzlichWILLKOMMEN IM HIMMEL!!!Und bis es so weit ist, unterscheidet uns nur die Luft zum Atmen, die Ihr braucht. Ich aber nicht mehr.
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Frannys letzte Worte an ihre Eltern – aufgenommen wenige Wochen vor ihrem Tod – auf Tonband, hatte sie unter ihrem Lamm Bruno versteckt. Ein Zettelchen lag dabei, adressiert an Klara; die eingerahmte Kleeblattsammlung für Jessi war dahinter gegen die Wand gelehnt.Gegen 220h40 war Frannys Mama auf dem Weg in die Küche und warf wie immer einen Blick in Frannys Zimmer. Ihr Blick fiel auf den Glasrahmen. Mama blieb wie angewurzelt stehen. Dann schlich sie sich leise näher.Franny hatte zum letzten Mal ihre Augen mit aller Kraft geöffnet. Mama riss Augen und Mund sperrangelweit auf. Es sah aus, als versage ihre Stimme beim Schrei nach Frannys Papa. Frannys Augen gaben Zeichen, es nicht zu tun. So saß Mama am Kopfende von Frannys Bett und streichelte dessen Kopf. – Es war wie ein Pakt zwischen Mutter und Tochter. Wie bei der Geburt. Nun beim Tod. Was mit einem Wehenschrei begann, endete mit einem Ruf der Stille.Um 22h48 schlief Franny für immer ein. Am Sonntag, den 17. Juni; genau so, wie es ihr Wunsch gewesen war. Am Tag des schönen Familienausflugs. Den 16. Geburtstag hatte sie nicht mehr erlebt. Aber den 17. Juni. – An dem Tag brannten im Zimmer genau 99 Kerzen. So war es ihr Wunsch gewesen, weil sei gelesen hatte, dass man zwei Dinge tun sollte, wenn ein Mensch für immer geht: Fenster auf und Kerzen an. Und das 100. Licht wollte sie sein. Millionen von Kilometern entfernt. Aber doch strahlend sichtbar.
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„Bitte weint nicht ständig, wenn ich gegangen bin. Gott hatte einen Willen, und dem musste ich nachkommen. Ich weiß, dass ihr mich gar nicht gehen lassen wollt, aber – stellt euch mal ein Seil vor. An einem Ende zieht der Himmel, am anderen die Erde. Bitte lasst das Seil los, damit das Gehen nicht so schwer ist. Ich habe doch keine Wahl. Ich reise da oben jetzt hin, und ihr schaut ab sofort einfach nach oben, statt in mein Kinderzimmer. Habt ihr eine Reise jemals abgebrochen? Lasst mich gehen. Ich liebe euch, von überall her. Ich war nur kurz ein Teil der Erde – und werde, genau wie ihr, immer ein Teil dieser Welt bleiben. Und Jesse – du wächst einfach für mich weiter, ja? Ich bin ja in dir drin, weil du an mich denkst. Wir kommen beide aus demselben Bauch, und eines Tages werden wir wieder in dem größten Bauch der Welt, dem Himmel, zusammen sein. Und Klara soll dir immer schön vorlesen aus meinen Lieblingsbüchern „Anna / Löwenherz / kleiner Prinz“: ‚Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als leuchten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können. Und wenn du dich getröstet hast, wirst du froh sein, mich gekannt zu haben… und deine Freunde werden sehr erstaunt sein, wenn du den Himmel anblickst und lachst.’ – Schön, nicht wahr, Jessi?“Die wenigen Worte auf dem Zettelchen für Klara waren kaum noch zu entziffern, so zitterig war die Schrift, und Tränen hatten Worte aufgeweicht und fast unleserlich gemacht. Ein paar Buchstaben fehlten. „Du wist immer min Feund sein“, sagte der kl. Pr.. „Du wirs Lust habe, mit mir zu lachen. U. du wirst manchma dein Fenster öffen, gerade so, z. Vergnügen“. Mein(e) Prinz(essin), Klara – vergiss die Gebete nicht, die du mir verspr. has! Deine gezähmte Rose, dein Fuchs, deine beste Freundin. Und viel längr, als der Tod uns wirkl. scheide kann. *F*
Frannys Lieblingszitate zum Tod / Sterben:„O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen!“„Ist der Tod nur ein Schlaf, kann dich das Sterben erschrecken? Hast du es je gespürt, wenn du des Abends entschliefest?“„Am Anfang wandern wir durch Licht und Schatten. Am Ende nur durch Licht.“„Der Tod ist nichts Schreckliches. Nur die fürchterliche Vorstellung vom Tod macht ihn furchtbar.“„Des Todes Schmerz liegt nur in der Vorstellung.“
Frannys Lieblingsfilm: „Brüder Löwenherz“