Am Abend nach der Beerdigung sprach ich zum ersten Mal mit Julian über die Geistige Welt. Ich versuchte ihm so gut als möglich zu erklären, dass Dora nun dort lebe und dass es ihr gut gehe. Ich wisse das, weil ich darüber viele Bücher gelesen hatte und weil mein Bruder auch in der Geistigen Welt sei. Und ich erzählte ihm von meinen Erfahrungen.
«Zusammen mit deiner Grossmutter bin ich schon mehrmals bei einem Medium gewesen und dank ihnen haben wir mit Lukas ‹sprechen› können. Lukas hat Sachen von sich erzählt und das Medium hat alles in unsere Sprache übersetzt. Weisst du Julian, wenn wir gestorben sind, dann schlüpfen wir einfach aus unserem schweren und müde gewordenen Körper hinaus und gehen in die Geistige Welt. Dort sehen wir alle Verstorbenen unserer Familie wieder. Und dank guter Medien können wir schon heute Kontakt mit ihnen aufnehmen, wenn wir wollen.»
Julian lernt Pascal Voggenhuber kennen
Um Julian zu zeigen, dass es diese Medien auch wirklich gibt, holte ich einige meiner Lieblingsbücher hervor. Auf einem dieser Bücher waren die Augen eines jungen Mediums abgebildet und ich sagte zu Julian, dies sei Pascal Voggenhuber. Da Julian mehr über diesen Pascal Voggenhuber wissen wollte, setzten wir uns an meinen Computer und schauten gemeinsam auf dem ein paar Kurzfilme an, in denen Pascal Voggenhuber über seine Arbeit als Medium spricht und plötzlich sagte Julian: «Mama, ich weiss jetzt, was ich einmal werden möchte. Ich möchte das werden, was Pascal Voggenhuber ist. Kann man das werden?»
Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Worte, auch daran, wo ich sass und was ich Julian geantwortet habe. Für mich war dies ein eindrücklicher Moment; zu sehen, wie Julian in kindlicher Naivität glaubte, man könne den Beruf eines Mediums genauso leicht erlernen wie irgendeinen anderen Beruf.
Ich liess ihn in dem Glauben und versprach ihm, alles daran zu setzen, dass er diese Ausbildung bei Pascal Voggenhuber machen könne. Für mich dachte ich, dass sich dieser Berufswunsch wohl kaum einmal erfüllen würde. Zum einen war Julian zu dieser Zeit noch sehr jung und da verändern sich die Berufswünsche schneller als die Jahreszei- ten. Zum anderen wusste ich, dass man ein Minimum an Begabung mitbringen musste, wollte man ein gutes Medium werden. So freute ich mich einfach darüber, dass Julian sich mit dem Wissen über die Geistige Welt ein wenig vertraut gemacht hatte, und dass dieses Wenige mitgeholfen hatte, ihn zu trösten.
Die Kinder werden älter
Im Laufe der nächsten Jahre stand die Schule im Zentrum unserer Aufmerksamkeit und es galt, beide Kinder in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und sie bestmöglich zu begleiten. Dann geschah etwas Sonderbares. Je näher mein älterer Sohn Basil der Pubertät kam, desto mehr glich er meinem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten und da kam auf leisen Sohlen wieder mein Glaubenssatz angeschlichen, um raumfüllend mein Denken in Beschlag zu nehmen: Das Schlimmste, was mir je passieren könnte, wäre, mein Kind zu verlieren.
Mein Glaubenssatz bewahrheitete sich jedoch nicht, denn Basil überlebte die Zeit der Pubertät schadlos, auch wenn es Phasen gab, in denen ich sehr gelitten hatte unter meinen Befürchtungen. Er wurde immer erwachsener und bald schon erinnerte er mich nicht mehr an meinen Bruder und alles schien wieder eitel Sonnenschein zu sein, bis zu dem Zeitpunkt, als der jüngere Sohn Julian plötzlich auf sich aufmerksam machte, indem er nun in die Pubertät und somit in die Phase des «Alles-Ausprobierens» kam.
Dies sei eine Zeit, in der das Gehirn wie auf einer Baustelle vor sich hin improvisiere, liess ich mir von Fachleuten erklären und wo sonst Grenzen wirksam seien, würden viele Jugendliche nur Möglichkeiten sehen, die auf ihre Wirkungen hin ausgetestet werden müssten.
Als bei mir anfangs Juni 2014 der Verdacht aufkam, Julian würde Cannabis ausprobieren, kaufte ich THC-Teststreifen und führte in unregelmässigen Abständen Kontrollen durch. Julian war meistens «sauber», unter anderem auch deshalb, weil er oftmals schlauer war als ich und mich austrickste. Ich merkte bald einmal, dass uns dieser Weg nicht weiterbrachte und so rief ich bei der Beratungsstelle «Berner Gesundheit» an. Weil mittlerweile bereits die Sommerferien vor der Tür standen, einigten wir uns auf einen Termin in der ersten Schulwoche des Herbstquartals. In der Zwischenzeit versuchte ich so gut es ging, meine immer grösser werdenden Ängste in Schach zu halten. Ich redete mir ein, dass ja viele Jugendliche in diesem Alter Cannabis ausprobierten, dass dies überhaupt nichts Schlimmes zu bedeuten habe, und dass ich ja alles in die Wege geleitet hätte, um durch fachliche Hilfe dem Problem beizukommen.
Das alte Fotoalbum
Während dieser Sommerferien entdeckte ich eines Tages ein altes Fotoalbum meines Bruders. Als ich abends für mich alleine war, schaute ich mir die Fotos noch einmal ganz genau an und da kam eine Welle des Schmerzes über mich, wie ich sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt hatte. Ich weinte lange, war vollkommen verzweifelt und geriet in Panik – wusste aber nicht weshalb. Anderntags zeigte ich Julian die Fotos und erzählte ihm von meiner Angst um ihn. Julian umarmte mich und wollte mich beruhigen mit den Worten: «Ach Mama, du machst dir immer so viele Sorgen um nichts!»
Seine Worte halfen nicht, meine Sorgen blieben und mein alter Glaubenssatz besetzte erneut mein ganzes Denken: Das Schlimmste, was mir je passieren könnte, wäre, mein Kind zu verlieren.
(Fortsetzung folgt)
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Quelle: trosthandbuch (Seite 16-19), Barbara Walti, Selbstverlag 2016 (siehe Medientipps und www.barbarawalti.ch
Siehe auch: Der Tod und was danach kommt (in diesem Blog)
Ein Gedanke zu „Julian hört zu“